Der wiederholte Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung

Jens Plümpe
13. Mai 2013

1. Ausgangslage

Das typische Ziel des Schuldners1, der einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt, ist die Erlangung der Restschuldbefreiung (RSB) am Ende der Laufzeit der Restschuldbefreiungsphase. Die Möglichkeit zur Erlangung der RSB ergibt sich aus § 1 S. 2 InsO2 und ist näher geregelt in den §§ 286 ff. InsO . In der Beratungspraxis ist bisweilen die Annahme geäußert worden, die RSB sei auch für Kapitalgesellschaften (z. B. GmbH) oder Personengesellschaften (oHG, KG etc.) zu erlangen. Das ist unzutreffend: Gem. § 286 InsO gibt es RSB ausschließlich für natürliche Personen.

2. Problem

Es gibt Fälle, in denen es nicht gelungen ist, in einem ersten Insolvenzverfahren die RSB zu erlangen. Die InsO ist 1998 in Kraft getreten und seit dem Jahr 2001 besteht die Möglichkeit, die Verfahrenskosten für ein Insolvenzverfahren stunden zu lassen3, so dass es seither viele hunderttausend Insolvenzverfahren gegeben hat. In vielen dieser Verfahren ist der Versuch des Schuldners, in einem ersten Insolvenzverfahren RSB zu erlangen, gescheitert. Dafür kann es eine Vielzahl von Gründen geben. Auf einige wird im Folgenden exemplarisch eingegangen. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die meisten Konstellationen im Gesetz nicht geregelt sind, so dass über viele Jahre eine große Unsicherheit geherrscht hat, wie im Einzelnen zu entscheiden ist. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat seine eigene Rechtsprechung zu dieser Frage mit einem Grundsatzbeschluss vom 17.09.2009 komplett geändert und systematisch auf ein neues Fundament gesetzt. An diese geänderte Rechtsprechung halten sich nunmehr der BGH und auch alle anderen Gerichte, die dazu Entscheidungen zu treffen haben4.

3. Gesetzliche Grundlage

Im Gesetz, v. a. also in der InsO, findet sich nicht viel zu der Frage des wiederholten Antrags auf Erteilung der RSB. Nur in § 290 Abs. 1 Ziff. 3 InsO steht:

„In dem Beschluß ist die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn [...] in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag dem Schuldner Restschuldbefreiung erteilt oder nach § 296 oder § 297 versagt worden ist [...]"

Diese beiden Fälle sind also geregelt: Der Schuldner will in einem zweiten Insolvenzverfahren die RSB erlangen, nachdem ihm in einem ersten Insolvenzverfahren in den letzten 10 Jahren die RSB schon einmal erteilt wurde oder die von ihm beantragte RSB aus den Gründen, die in den §§ 296, 297 InsO aufgeführt sind, versagt worden ist. In diesen Vorschriften geht es um Verstöße gegen Obliegenheiten des Schuldners in der RSB-Phase gem. § 295 InsO und das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Insolvenzstraftat. Beide Voraussetzungen lassen sich einfach feststellen.

4. Grundsatzentscheidung des BGH

Der BGH musste in seiner Entscheidung vom 17.09.2009 über folgenden Fall entscheiden:

In einem ersten Insolvenzverfahren, das der Schuldner verbunden mit dem Antrag auf Erteilung der RSB beantragt hatte, hatte er seine Auskunftspflichten nach § 97 InsO5 verletzt . Gem. § 290 Abs. 1 Ziff. 5 InsO ist ihm daher in diesem Verfahren die RSB versagt worden. Etwas mehr als ein Jahr nach dem Beschluss, mit dem die RSB versagt worden war, stellte derselbe Schuldner einen neuen Antrag und beantragte, ihm die Verfahrenskosten für das neue Insolvenzverfahren zu stunden. Das Insolvenzgericht lehnte die Stundung (und damit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens) ab.

Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 16.07.2009, IX ZB 219/08): Der BGH bestätigte diese Entscheidung. Denn die Stundung der Verfahrenskosten kann nur dann bewilligt werden, wenn am Ende des gesamten  Insolvenzverfahrens auch die RSB erteilt werden kann. Weil der Schuldner wegen seiner fehlenden Mitwirkung im ersten Verfahren in dem neuen Verfahren keine RSB erlangen könne, seien ihm auch die Verfahrenskosten für das zweite Verfahren nicht zu stunden. Dass der Schuldner im zweiten Insolvenzverfahren keine RSB erlangen könne, ergibt sich, so der BGH, zwar nicht aus dem Gesetz, aber das Gesetz habe eine Lücke, die so zu schließen sei: Die Gründe, die zu einer Versagung der RSB im Erstverfahren gem. § 290 Abs. 1 Ziff. 5 InsO führen, seien nicht schwerer zu bewerten als die Gründe, die zu einer Versagung der RSB im Erstverfahren gem. § 290 Abs. 1 Ziff. 3 InsO führen. Beide Fälle seien daher grundsätzlich gleich zu bewerten6. Der Gesetzgeber habe ja eigentlich auch schon das Gesetz ändern wollen und für solche Fälle eine Sperrfrist von 3 Jahren vorgesehen. Das sei auch richtig so und im Wege richterlicher Rechtsfortbildung gelte das in diesen Fällen. Die Sperrfrist von 3 Jahren beginnt mit der Rechtskraft der Entscheidung zu laufen, mit der im Erstverfahren die RSB versagt wurde.

Das bedeutet: Wenn jemand im Erstverfahren nicht mitgewirkt hat und ihm daher die RSB versagt wurde, dann kann er für drei Jahre nach Beendigung des Erstverfahrens keinen erfolgreichen neuen Antrag auf RSB und damit auch keinen neuen Insolvenzantrag stellen.

5. Weitere Konstellationen

Natürlich war die Überlegung des BGH – wie von ihm geplant – auf weitere Konstellationen übertragbar.

a) Unzulässiger Erstantrag

Der Schuldner stellte in einem ersten Insolvenzverfahren, das über sein Vermögen eröffnet worden war, einen Antrag auf Erteilung der RSB. Dieser Antrag auf Erteilung der RSB wurde als unzulässig zurückgewiesen7 Nachdem zwei Jahre später das Insolvenzverfahren aufgehoben worden war und noch ein weiteres Jahr vergangen war, stellte der Schuldner einen neuen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Erteilung der RSB.

Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 03.12.2009, IX ZB 89/09): Auch in diesem Falle gilt die 3-Jahres-Frist, weil es der Schuldner in der Hand gehabt hätte, bereits im ersten Verfahren die RSB  beantragen und erlangen zu können. Weil im konkreten Fall aber die 3 Jahre ab Rechtskraft des Beschlusses vergangen waren, mit die RSB im ersten Verfahren versagt worden war, war der Antrag im zweiten Verfahren zulässig.

b) Keine Anträge des Schuldners

Ein Gläubiger stellte den Antrag, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zu eröffnen. Der Schuldner stellte keine Anträge, weder auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch auf Erteilung der RSB. Kurz nachdem das erste Verfahren beendet war, stellte der Schuldner den Antrag, ein zweites Insolvenzverfahren zu eröffnen und ihm die RSB zu erteilen.

Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 21.01.2010, IX ZB 174/09): Der Schuldner hätte nach Maßgabe der entsprechenden Belehrungen des Insolvenzgerichts im ersten Verfahren alle erforderlichen Anträge stellen können, um die RSB zu erlangen. Hätte er das getan, hätte er ein aufwändiges Zweitverfahren vermieden. Es wäre mit dem Sinn und Zweck der Belehrungspflichten des Gerichts unvereinbar, wenn man das aufwändige Zweitverfahren sofort zuließe. Es gilt auch hier die 3-Jahres-Frist, die ab Eröffnung des Erstverfahrens läuft. Das Zweitverfahren kann aber nur dann eröffnet werden, wenn das Erstverfahren bereits abgeschlossen ist.

In dieser Konstellation müssen also mindestens drei Jahre ab Eröffnung des Erstverfahrens verstrichen und das Erstverfahren aufgehoben sein. Das ist bei Regelinsolvenzverfahren oft nicht der Fall!

c) Antragsrücknahme

Der Schuldner stellte im Erstverfahren, das er selber beantragt hatte, auch den Antrag auf Erteilung der RSB. Nachdem ein Gläubiger einen Antrag gestellt hatte, dass ihm die RSB versagt werden solle, nahm der Schuldner den Antrag auf Erteilung der RSB zurück, so dass das Gericht darüber und über den Versagungsantrag nicht mehr entscheiden musste.

Die Entscheidung des BGH (Beschl. v. 12.05.2011, IX ZB 221/09): Der Schuldner hat es nicht in der eigenen Hand, beliebig viele Insolvenzverfahren hintereinander zu beantragen, um dadurch und durch die zwischenzeitliche Antragsrücknahme die geltenden Fristen auszuhebeln. Auch in diesem Falle gilt daher die 3-Jahres-Frist, die mit der Rücknahme des ersten Antrags auf Erteilung der RSB zu laufen beginnt.

d) Fiktive Antragsrücknahme

Der Schuldner stellte als Verbraucher die Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Erteilung der RSB. Das Insolvenzgericht beanstandete die Anträge als unzureichend. U. a. war der vorgelegte Schuldenbereinigungsplan nach Ansicht des Gerichts nicht hinreichend bestimmt und die Bescheinigung über das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs entsprach nicht den gesetzlichen Erfordernissen. Das Insolvenzgericht setzte dem Schuldner eine übliche und gesetzlich vorgesehene Frist von einem Monat zur Behebung der Mängel, die der Schuldner verstreichen ließ. Nach etwas mehr als einen Monat nahm der Schuldner seine Anträge zurück. Nach weiteren vier Monaten stellte er erneut die Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Erteilung der RSB.

Die Entscheidung des LG Essen (Beschl. v. 28.03.2012, 166 IK 64/12): Der Schuldner hat es im ersten Antragsverfahren versäumt, alle Anträge ordnungsgemäß einzureichen und die vom Insolvenzgericht gesetzte Frist zur Nachbesserung verstreichen lassen. Gem. § 305 Abs. 3 S. 1 InsO gilt der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als zurückgenommen, wenn innerhalb eines Monats bestehende Mängel nicht behoben werden. Diese Vorschrift dient der Beschleunigung des Verfahrens. Die Entscheidungen des BGH zur 3-Jahres-Frist lassen, so das LG Essen, sich in zwei Kategorien einteilen. Zum einen soll dem unredlich handelnden Schuldner eine 3-Jahres-Frist auferlegt sein. Zum anderen soll die 3-Jahres-Frist auch für Schuldner gelten, die kein auf Verfahrensförderung bedachtes Verhalten zeigen. Das sei hier der Fall gewesen, so dass der zweite Antrag, der innerhalb der 3-Jahres-Frist eingereicht wurde, unzulässig war.

Zu dieser Entscheidung ist erstens anzumerken, dass ein Rechtsmittel dagegen nicht mehr gegeben war, weil die einschlägigen Vorschriften geändert wurden. Das hat zur Folge, dass der BGH über solche Dinge nur noch sehr selten wird entscheiden können! Das hat auch zur Folge, dass möglicherweise bald die Rechtslage davon abhängig ist, welches Gericht wo entscheidet8.

Zweitens ist anzumerken, dass diese Entscheidung ebenso wie eine ähnliche Entscheidung des AG Hamburg (Beschl. 09.11.2011, 68c IK 891/11, ZInsO 2012, 195 f.) falsch sein dürften. Denn der Ausgangspunkt der Rechtsprechung des BGH war erstens ein nicht umgesetztes Reformgesetz, das EntschG. In diesem Gesetz aber war für die fragliche Konstellation keine Sperrfrist vorgesehen. Zudem ist zweitens die Frist des § 305 Abs. 3 InsO keine Notfrist in dem Sinne, dass der Antrag nicht wiederholt gestellt werden könnte (LG Frankenthal, Beschl. v. 12.11.2012 – 1 T 139/12, zit. nach Pape/Pape, a.a.O., S. 270), so dass die 3-Jahres-Frist eine nicht im Gesetz angelegte Sanktion ist. Drittens liegt ein neues Reformgesetz vor, in dem diese Konstellation gerade eben nicht sanktioniert wird. Schließlich und viertens ist festzuhalten, dass die Rechtsprechung des BGH zu „säumigen" Schuldnern nur solche Konstellationen betraf, in denen typischerweise mehrjährige und sehr aufwändige Insolvenzverfahren wiederholt werden mussten, weil der Schuldner bestimmte erforderliche Dinge unterlassen hatten. Dieser Gesichtspunkt greift für das Verbraucherinsolvenzeröffnungsverfahren keinesfalls.

[1] Soweit im Folgenden aus Gründen der Vereinfachung und Lesbarkeit die männliche Form („der Schuldner“) verwendet wird, so gilt alles gleichwohl gleichermaßen zugleich für Frauen.

[2] Es kann nicht oft genug betont werden: Die Restschuldbefreiung ist nicht das eigentliche Ziel und der Zweck des Insolvenzverfahrens selber! Dies ist und bleibt ausschließlich die gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger aus dem verwerteten Vermögen des Schuldners, § 1 S. 1 InsO. Es ist die Aufgabe des Insolvenzverwalters dafür zu sorgen, dass das schuldnerische Vermögen komplett verwertet wird, nicht dagegen, dem Schuldner zu helfen, die Restschuldbefreiung zu erlangen.

[3] Die näheren Regelungen zur Stundung der Verfahrenskosten finden sich in den §§ 4a ff. InsO und sind im Jahr 2001 nachträglich in die InsO aufgenommen worden. Die Kosten werden nur gestundet, nicht geschenkt. Sie sind grundsätzlich nach Ablauf der sechs Jahre zu erstatten, wobei auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Schuldners Rücksicht genommen wird. Die §§ 4a ff InsO werden im Folgenden nicht weiter erläutert.

[4] Wichtig ist daher bei eigener Recherche zu prüfen, von wann die Entscheidung ist, die vermeintlich dem eigenen Fall entspricht: Ist die gefundene Entscheidung älter als der Beschluss vom 17.09.2009 ist es besser, sie überhaupt nicht erst zu lesen!

[5] § 97 Abs. 1 S. 1 InsO: „Der Schuldner ist verpflichtet, dem Insolvenzgericht [und] dem Insolvenzverwalter […] über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben.“

[6] Juristen nennen das eine Analogie: Die Norm, die eine bestimmte Rechtsfolge hat, ist zwar eigentlich nicht anwendbar, aber was in ihr „steckt“ gilt auch für einen anderen eigentlich nicht geregelten Fall.

[7] Aus der Entscheidung des BGH geht nicht eindeutig hervor, aus welchen Gründen der Antrag unzulässig war. Es ist aber zu vermuten, dass der Antrag „nur“ zu spät gestellt worden war.

[8] Ein Angehöriger des IX. BGH-(Insolvenzrechts-)Senats ist der Meinung, „dass eine Rechtsvereinheitlichung in Insolvenzsachen nur noch sehr eingeschränkt stattfindet“. (Pape/Pape, ZInsO 2013, 268)