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Rechtsanwalt Jens Plümpe

Rechtsanwalt Jens Plümpe, LL.M. (Lond.)
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Die Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit beim Fremdantrag – LG Hamburg vs. BGH

Jens Plümpe
28. November 2023

In einem aktuellen Beschluss vom 24.10.2023 hat das Landgericht Hamburg (303 T 15/23) sich mit einer überzeugenden Begründung gegen eine ältere Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschl. v. 13.06.2006 – IX ZB 238/05) positioniert.

Der Sachverhalt in beiden Fällen lag so, dass eine Krankenkasse einen Insolvenzantrag über das Vermögen einem Schuldner gestellt hat, der mit Sozialversicherungsbeiträgen über einen Zeitraum von sechs Monaten oder im Rückstand war. In dem Fall des BGH leistete der Schuldner nach der Antragstellung auf seine Rückstände einen Teilbetrag. Der größere Teil der Forderung der Krankenkasse blieb offen.

In dem Fall, den der BGH zu entscheiden hatte, lehnten das Insolvenzgericht und das Landgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab. Beide Gerichte waren der Ansicht, dass die antragstellende Gläubigerin ihren Antrag nicht ausreichend begründet habe. Denn der Insolvenzgrund sei nach § 294 ZPO glaubhaft zu machen. Das sei aber mit der Behauptung, der Schuldner habe sieben Monate lang geschuldete Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt, nicht dargelegt.

Der BGH hat auf die Rechtsbeschwerde hin die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und entschieden, dass alleine aufgrund des Umstands der Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten die Zahlungsunfähigkeit glaubhaft gemacht sei, auch wenn es noch nicht zu fruchtlosen Zwangsvollstreckungsversuchen gekommen sei.  Dies begründete der BGH damit, dass die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen eine Straftat ist (§ 266a StGB). Daher sei eine bloße Zahlungsunwilligkeit bei mehrmonatiger Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen unwahrscheinlich. Die Nichtzahlung sei daher ein starkes auf die Zahlungsunfähigkeit hinweisendes Indiz, das im Insolvenzeröffnungsverfahren mangels gegenläufiger Indizien ausreiche. Bei Rückständen von sieben Monaten sei es jedenfalls wahrscheinlich, „wenn nicht sogar zwingend“, dass der Schuldner zahlungsunfähig sei. Einer negativen Vermögensauskunft oder fruchtloser Vollstreckungsmaßnahme ergebe sich nichts Gegenteiliges. Aus der Teilzahlung des Schuldners nach Antragstellung ergebe sich nichts Gegenteiliges. Hinzukomme, dass eine einmal zu Tage getretene Zahlungsunfähigkeit fortwirke, bis der Schuldner seine Zahlungen an alle seine Gläubiger wieder aufgenommen habe.

Der Fall, den das LG Hamburg entschieden hat, war nahezu identisch. Hier hat der Schuldner jedoch keine Teilzahlung geleistet und ein Vollstreckungsversuch der Krankenkasse, den sie unternahm, scheiterte daran, dass sie eine örtlich unzuständige Stelle damit beauftragt hatte. Dennoch haben sowohl das Insolvenzgericht als auch das LG den Antrag als unzulässig zurückgewiesen mit der Begründung, die Zahlungsunfähigkeit sei nicht glaubhaft gemacht. Das Landgericht hat ausgeführt, dass außer dem Umstand, dass der Schuldner sechs Monate lang die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt habe, seitens der Antragstellerin nichts vorgetragen worden sei, was auf eine Zahlungsunfähigkeit schließen lassen könnte. Alleine aus den mehrmonatigen Beitragsrückständen ergebe sich die Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht. Die textbausteinartige Berufung der Krankenkasse auf die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2006 reiche zur Glaubhaftmachung nicht aus, weil dem Schuldner keine Vollstreckungsversuche angekündigt worden seien. Der Schuldner unterhalte einen laufenden Geschäftsbetrieb und es sei durchaus möglich, dass er zwar die Sozialversicherungsbeiträge für einen Arbeitnehmer nicht zahle, aber alle anderen Gläubiger befriedige.

Das Landgericht ließ eine Rechtsbeschwerde gegen seine Entscheidung nicht zu, weil es sich um eine Einzelfallentscheidung handele, sodass der BGH diesen Fall voraussichtlich nicht „drehen“ kann.

Welcher Ansicht ist der Vorzug zu geben?

Von einer Zahlungsunfähigkeit wäre dann auszugehen, wenn aufgrund der Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen eine Zahlungseinstellung zu vermuten wäre. Diese Annahme wird jedoch weder vom BGH noch anderen Gerichten selbst bei mehrmonatiger Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen angenommen, obwohl eine solche sogar dann angenommen werden kann, wenn nur ein Gläubiger nicht befriedigt wird, dessen Forderungen erheblich sind. Ein Grund dafür mag darin zu sehen sein, dass im Zeitpunkt der Antragstellung die Erheblichkeit der dem Antrag zugrunde liegenden Forderung mangels bekannter relativer Größe zu dem Gesamtumsatz und den Gesamtkosten des Schuldners nicht bekannt ist.

Somit bleibt es bei der Frage des glaubhaft gemachten Vorliegens der Zahlungsunfähigkeit, die auf das Fehlen der erforderlichen Mittel zum Ausgleich der bestehenden Rückstände gestützt werden müsste. Und hierzu sagt der Umstand, dass Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt worden sind, nichts aus. Entgegen der Auffassung des BGH gibt es realiter mehr als nur einen Grund, warum Sozialversicherungsbeiträge nicht gezahlt werden. So kann der Schuldner bspw. aufgrund von eigener Krankheit oder dem Ausfall von Personal und damit aufgrund von Überforderung außerstande gewesen sein zu erkennen, dass Rückstände aufgelaufen sind. Wenn dann die Zahlungsaufforderungen der jeweiligen Krankenkasse in eher unscheinbaren Umschlägen ohne Zustellnachweis übermittelt werden, werden solche Schreiben ignoriert. Hinzu kommt, dass Unternehmen typischerweise für den Einzug von Sozialversicherungsbeiträgen Lastschrifteinzugsermächtigungen erteilen. Wenn diese aufgrund eines einmaligen Überziehens des Kontos „platzen“, stoppt der Einzug und der Schuldner müsste händisch die Überweisungen vornehmen. Gerade in Zeiten der Überforderung wird das dann erst recht übersehen.

Anders gesagt: Die Auffassung des BGH, dass aus der Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen über mehr als sechs Monate „fast zwingend“ auf Zahlungsunfähigkeit zu schließen sei, ist allzu akademisch und hat mit der Realität jedenfalls kleinerer Unternehmen nicht immer viel zu tun. Das beschriebene Problem wird oftmals dadurch verstärkt, dass die Arbeitnehmer eines kleineren Betriebs typischerweise bei verschiedenen Krankenkassen versichert sind. Wenn die Lastschrifteinzüge der anderen Krankenkassen durchlaufen, ist es umso wahrscheinlicher, dass eine fehlende Lastschrift übersehen wird. Aus diesem Grunde ist der Rechtsauffassung des Landgerichts Hamburg jedenfalls für die Fälle der Vorzug zu geben, in denen für eine geringe Anzahl von Arbeitnehmern die Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt wurden. In diesen Fällen ist entweder durch eine entsprechende Erklärung des Schuldners, dass er nicht zahlen könne, oder die Abnahme der Vermögensauskunft bzw. die schuldhafte Nichtabgabe der Vermögensauskunft  die Annahme der Zahlungsunfähigkeit zu erhärten und damit glaubhaft zu machen.

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